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Ortsfamilienbuch Agnetheln
Kirchenburg, erbaut 1409
(Graphik von Edda Cartheuser) |
Lage und Landschaft
Agnetheln, rumänisch Agnita, ungarisch Szentagotha, ist eine Kleinstadt in Siebenbürgen im heutigen Rumänien, 45°58'30'' nördl. Breite und 24°37'30'' östl. Länge, 441 m ü. M., mit einer Bevölkerung von 12280 Einwohnern (1992). Sie liegt am Mittellauf des Harbachs (rum. Hartibaciu, ung. Hortobagy), der das südliche Kokel-Hochland entwässert und unterhalb von Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben), in den Zibin (rum. Cibin, ung. Szeben) mündet, einen rechten Nebenfluss des Alt (rum. und ung. Olt).
Als wichtigste Ortschaft des Harbachtals, das zwischen seinen bewaldeten Höhen unterschiedliche fruchtbare Böden besitzt und klimatisch rauer ist als etwa das benachbarte Kokeltal mit seinem Weinland, entwickelte sich Agnetheln schon früh zum Zentrum des Handels und damit zur Marktgemeinde, deren Bewohner neben der Landwirtschaft auch Handwerk und Gewerbe betrieben und sich als Ackerbürger verstanden.
Ein alter Heerweg führte von Schässburg und Reps den Harbach entlang durch den Ort nach Hermannstadt; die Verbindung ins Alttal führt über Großschenk (rum. Cincul, ung. Nagysink), das für Jahrhunderte Sitz des Schenker Stuhls war, also der Verwaltungseinheit, zu der Agnetheln gehörte; der Weg nach Mediasch (rum. Medias, ung. Megyes), der nächstgelegenen Stadt, ist heute gleichfalls geteert. Bahnverbindungen bestanden mit Schässburg (rum. Sighisoara, ung. Segesvar) zwischen 1898 und 1968, mit Hermannstadt zwischen 1910 und 2002, jeweils auf Schmalspur, die wegen mangelnder Rentabilität wieder aufgegeben wurden.
Zum Namen
Agnetha (=Agathe oder auch Agnes/Agneth) könnte die Patronin der örtlichen Kirche sein, doch ist diese tatsächlich eine Marienkirche. Die Namensendung wird als verschliffene Form von "Tal" verstanden: auch mittelalterliche Texte latinisieren den Ortsnamen als "vallis Agnetis" .Aber es findet sich auch die Verkleinerungsform "Agnetlin", etwa auf der Honterus-Karte Siebenbürgens von 1532; das wäre heute ein "Agnethlein", nahezu ein Kosename.
Die Heilige Agnetha begegnet uns denn auch im Ortswappen vor bestirntem Himmel, mit offenem Haar und dem Palmwedel der Märyrerin in der Rechten.
Eine Gründungssage verbindet Agnetheln mit zwei benachbarten Ortschaften, nämlich Roseln und Mergeln: Drei reiche Schwestern, Agnetha, Rosalia und Maria,, sollen auf einer Burg gelebt haben, deren Spuren auf einer Anhöhe zwischen diesen Orten noch zu finden sind. Sie trennten sich, ließen sich in den benachbarten Tälern nieder und gaben den Neugründungen ihre Namen. Den Spottnamen "Mährenschinder", in der Ortsmundart "Guareschanner", ertragen die Agnethler nicht ohne Stolz, da er auf ihre Vergangenheit als Pferdezüchter und -händler hinweist.
Siedlungsgeschichte
Agnetheln zählt auf Grund der Anlage - gleichgroße Hofstellen, Straßenführung, Rechtsverhältnisse - zu den ältesten deutschen Ansiedlungen in Siebenbürgen (ab Mitte des 12. Jahrhunderts), auch wenn die früheste urkundliche Erwähnung erst 1280 erfolgt. Die Ortstradition, Flurnamen wie "Alte Kirche", der unübliche, quer zu den Flusstälern verlaufende Zuschnitt der Gemeindegemarkung und der ursprüngliche Sumpf in einem Teil des späteren Wohngebiets sprechen für eine frühe Verlegung der Siedlung aus dem Altbach-Tal an den heutigen Ort, vielleicht auch für eine Zusammenlegung mit einer nicht länger überlebensfähigen Siedlung, dem nördlich gelegenen einstigen Fettendorf.
Schon 1376 erhielt Agnetheln das Recht, an Johannis - 24. Juni - einen Jahrmarkt abzuhalten; später kamen noch zwei Jahrmärkte dazu. 1466 erhielt Agnetheln vom ungarischen König das "jus gladii" zugesprochen, also das Recht, Todesurteile selbst zu fällen und die Strafe zu vollziehen. Das war eine wesentliche Aufwertung für den Hann, also das gewählte Gemeindeoberhaupt, Im gleichen Jahr wird Agnetheln zugestanden, im Kriegsfall die Hälfte des dem König zustehenden Truppenaufgebotes für die eigene Verteidigung am Ort zu behalten, da der Markt so nahe an der Grenze zur Walachei lag und seine Burg - gemeint ist die Kirchenburg - nicht in fremde Hände kommen sollte.
Den Status einer Marktgemeinde behält Agnetheln bis 1950, als es im Zuge der zahlreichen Erhebungen in den Rang einer Stadt, die in der Frühzeit des rumänischen Sozialismus üblich waren, gleichfalls zur Stadt erklärt wird. Da Agnethlen bis zur Gebietsreform 1968 auch Sitz der Rayonsverwaltung ist,, wobei der Rayon in etwa das Harbachtal umfasste, gehen mit dieser Aufwertung auch die Einrichtung eines entsprechenden Gerichts, einer gymnasialen Oberstufe ("Lyzeum") mit rumänischer und deutscher Abteilung, einer Rayons-Handelsorganisation und mehrerer Industriebetriebe von überregionaler Bedeutung einher. Letztere gründen auf den althergebrachten örtlichen Handwerken, die z.T. schon ein halbes Jahrhundert früher eine industrielle Entwicklung genommen hatten.
Seit 1967 ist Agnetheln Teil des Kreises Hermannstadt (rum. "judetul Sibiu").
Bevölkerung und Gemeinwesen
Wehrtürme der Kirchenburg |
Die erste Nachricht, die einen Rückschluss auf die Größe Agnethelns erlaubt, ist von 1332-1335, als der Pleban, also der von der Gemeinde frei gewählte Ortspfarrer, 7 Lot Silber von seinem Kirchenzehnten an den päpstlichen Stuhl abzuliefern hat: Das war die Abgabe von etwa 300 Familien, also über 1000 Einwohner. 1488 wohnen hier 187 Wirte, 10 Nonnen, 1 Schulmeister, 9 Hirten und 2 Marktdiener. Es gab eine Mühle und fünf leer stehende Häuser. Damit war Agnetheln zu dieser Zeit die größte Ortschaft im Stuhl und die sechstgrößte Gemeinde in den "Sieben Stühlen", dem Kerngebiet des sächsischen Königsbodens.; 1532, nach Krieg und Pest, sind es nur noch 135 Wirte.
Die Handwerkerschaft muss schon früher zu eigenen Organisationsformen gefunden haben, doch ist das älteste Wirken der Zünfte erst ab 1500 dokumentiert. Die früheste und bis zur endgültigen Auflösung im 20. Jahrhundert größte Innung bildeten die Schuster; es folgten die Schmiede, deren Statuten von 1524 stammen; die Schneider, schon 1534 mit einem Privilegium, dann 1539 mit Statuten versehen; die Wagner, die Lederer und Riemenmacher, die Fassbinder und die Töpfer. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung hatten die Zünfte noch eine weitere: Ihnen oblagen Unterhalt und Verteidigung der Kirchenburg.
Agnethler "Urzel" |
Die Kirche selbst ist 1409 durch Umbau einer turmlosen, romanischen Basilika aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu einer dreischiffigen gotischen Hallenkirche mit Westturm entstanden. Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts wird der Chor um ein Wehrgeschoss erhöht, der Glockenturm erhält eine wehrhafte Ummantelung, den "Töpferturm", vier durch Mauern und Vorratskammern verbundene Wehrtürme werden um einen inneren Burghof erbaut, der die Bevölkerung bei feindlichen Angriffen aufnehmen und schützen kann. Zwei weitere Mauerringe umgaben die Kirchenburg, die im Gelände nur wenig oberhalb des Harbachufers steht. Zwischen 1845 und 1870 wurden die Befestigungen bis auf einen Mauerrest und die vier Verteidigungstürme niedergelegt, z. T. auch um Baumaterial für eine neue Schule zu gewinnen. Der "Fassbinderturm" mit Burgtor und Fallgitter steht im Norden, der "Schmiedturm" im Osten, "Schneider" - und "Schusterturm im Südosten bzw. im Südwesten der Kirche. In ihnen bewahrten die Agnethler Sachsen bis zu iherer Auswanderung ihre Speckseiten auf, ein Herkommen, das noch auf die Nutzung der Vorkammern in der Fluchtburg zurückgeht.
Das gesellige Leben war außer durch die Nachbarschaften gleichfalls durch die Handwerkerzünfte geprägt, die nicht nur die soziale Stellung - Meister, Geselle, Lehrling - zu vergeben hatten, sondern durch den jährlichen Wechsel in ihren Leitungsfunktionen feierliche Ritualformen pflegten, denen sich ein eigenes, von der gesamten Gemeinde getragenes Brauchtum anlagerte. Der Zwang zur Ausbildung in der Fremde, auf Wanderschaft, brachte den Kontakt zum Handwerkerwesen in Westeuropa, besonders zum binnendeutschen Raum, so dass sich im Brauchtum Entlehnungen - vor allem von süddeutschen Formen der Fastnacht - feststellen lassen. Die Tradition des "Urzelnlaufs" zu Jahresbeginn, also eines Zuges einheitlicher Masken, der zunächst das Ladenforttragen der einzelnen Zünfte begleitete, im 20. Jahrhundert aber zu einem allgemeinen Umzug der eigentümlichen Urzelnmasken im Umfeld von Fasching und Fastnacht wurde, hat Agnetheln als Reliktort des Brauchtums bekannt werden lassen.
Ethnisches Miteinander
Solange das Kolonistenrecht galt, waren die Sachsen in Agnetheln, als einer Gemeinde des "Königsbodens", alleinige Grundeigentümer: kein Nicht-Sachse war berechtigt, hier Grundeigentum zu erwerben.
Die ersten Rumänen ("inquilini valachi") sind somit ausschließlich als Hirten der Gemeindeherde nach Agnetheln gekommen und haben sich am südöstlichen Rand niedergelassen, wo seit 1795-1797 die kleine orthodoxe Nikolauskirche steht, eine Stiftung zweier Kronstädter Rumänen.
Ungarn kamen vereinzelt; die Katholiken unter ihnen kauften zwei benachbarte Hofstellen in der Niedergasse und erbauten 1867 ebenfalls eine kleine Kirche, mit aufgesetztem Holzturm für die Glocke.
Der Zuzug der Zigeuner - vom Stamme der Roma - muss viel früher erfolgt sein, da die mündliche Tradition auf sie Bezug nimmt. So stammen gebräuchliche Übernamen für einige sächsische Familien von den Zigeunern, die bei ihnen - manchmal über Generationen hinweg - in Tagelohn standen; ein genauer zeitlicher Ansatz für ihren Zuzug nach Agnetheln ist nicht zu machen.
Noch um die Wende zum 20. Jahrhundert sind Nicht-Sachsen vor allem als Taglöhner beschäftigt. Viele Ungarn sind Arbeiter in den ersten Industrieanlagen (Sägewerk, Essig - und Spiritusfabrik). Mit dem Anschluss Siebenbürgens an das Königreich Rumänien 1918 wächst der rumänische Bevölkerungsanteil sprunghaft: In den frühen 30-er Jahren stellen Sachsen und Rumänen den Bürgermeister im Wechsel. Erst 1939-1948 wird jedoch am rechten Harbachufer die große, mehrkuppelige "Konstantin-und-Helena-Kirche" für die Orthodoxen errichtet, bezeichnenderweise durch einen örtlichen sächsischen Baumeister.
Zwischen den Ethnien verwendete man nach 1918 zur Verständigung meist das Rumänische, da dieses als Staatssprache auch von den Sachsen und Ungarn in der Schule gelernt wurde, so wie bis dahin das Ungarische. Doch gab es viele eingesessene Rumänen, Ungarn und Zigeuner, die auch der sächsischen Mundart kundig waren. Nur wenige konnten jedoch hochdeutsch sprechen. Gleichwohl gab es bis zur jüngsten Vergangenheit bei Rumänen und Ungarn aus gehobenem sozialem Umfeld die Neigung, ihre Kinder - zumindest für einige Jahre - in die deutsche Schule zu schicken. Ethnische Mischehen waren aber bis zuletzt eine seltene Ausnahme.
Heimatverlust und Neubeginn
Da Hunderte Agnethler, so wie die meisten Siebenbürger Sachsen im wehrfähigen Alter, im Zweiten Weltkrieg in deutschen Verbänden - Waffen-SS und Wehrmacht - gedient hatten und ihnen nach Kriegsende die Rückkehr in die Heimat verwehrt wurde, waren durch den "Eisernen Vorhang" viele Familien auf Jahrzehnte getrennt. Dazu kam, dass nicht wenige der 1945 in die Sowjetunion Deportierten nach Jahren der Zwangsarbeit nicht mehr nach Siebenbürgen zurückgeführt, sondern nach Deutschland abgeschoben wurden.
Dieser Zustand, erschwert noch durch die jahrelangen Diskriminierungen der in Siebenbürgen verbliebenen Sachsen (Enteignungen, Vertreibung aus der angestammten Wohnung, politische Verfolgung bis zu mehrjährigen Haft, so etwa am evangelischen Ortspfarrer von Agnetheln vollzogen) wurde zunehmend als Heimatverlust im eigenen Land empfunden. Als Ausweg aus dieser seelischen Zwangslage bot sich schließlich nur noch die Familienzusammenführung an, die ab den sechziger Jahren die Ausreise zu den Angehörigen im Westen, also in die Bundesrepublik und Österreich ermöglichte. Durch spätere Freikäufe auf Regierungsebene, private Zahlungen, Verwandtenbesuche und Eheschließungen mehrten sich in den siebziger Jahren auch die Aussiedlungen aus Agnetheln in spürbarem Umfang, bis schließlich nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 der allgemeine Exodus erfolgte. Wie in den meisten ehemals deutschen Orten sind auch in Agnetheln nur noch einzelne sächsische Familien geblieben, die sich aus persönlichen Gründen nicht zur Ausreise entschließen konnten.
Auch in veränderter Umgebung sind die Agnethler aber heimatverbunden, getreu dem Motto "der neuen Heimat dienen, die alte nicht vergessen".
Diesem Gedanken fühlt sich die Heimatortsgemeinschaft (HOG) verpflichtet, die als lockerer Verein ihren Sitz in Heilbronn hat, in unregelmäßigen Abständen gut besuchte Treffen organisiert und als periodische Publikation das "Agnethler Blatt" dreimal jährlich erscheinen lässt. Zusätzlich wird der Zusammenhalt der Agnethler in der westlichen Diaspora auch durch die Teilnahme an dem jährlichen Urzelnlauf gefördert, der seit 1965 in Sachsenheim/Württemberg stattfindet und dort eine harmonische Integration im Rahmen der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte gefunden hat.
Ein unverzichtbarer Garant der Zusammengehörigkeit ist aber auch das Bewusstsein um die gemeinsame Herkunft. Das Wissen um die verwandtschaftlichen Beziehungen, die sich zu Familien- und Sippenverbänden zusammenfügen, verdeutlicht dem Einzelnen die Brückenfunktion, die er einnimmt zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
Diesem Zweck ist auch das vorliegende Ortsfamilienbuch gewidmet.
Durch jahrelange Recherchen hat der Autor Hanswalter Müller nahezu 20.000 Personendatensätze gesammelt. Dazu war vorerst das Kopieren der noch in Agnetheln aufliegenden kirchlichen Tauf-, Trau- und Sterbematrikeln erforderlich. Um die familiären Verbindungen bis zur Gegenwart zu erstellen, wurden danach weitgehende persönliche Erkundigungen bei Agnethlern der Gegenwartsgeneration eingezogen. Auf diese Weise konnte die Agnethler Familien- und Ahnenforschung ab Ende des 17. Jahrhunderts, also für einen Zeitraum von vier Jahrhunderten abgeschlossen werden.
Alle Daten des erfassten Personenkreises wurden anschließend unter Anwendung des Genealogieprogrammes AHN-DATA von Holger Kötting elektronisch verarbeitet und mehrfach überprüft.
Für die Endfassung eines Online-Ortsfamilienbuches wurden die Daten schließlich aus technischen Gründen noch ins Genealogieprogramm "PC-AHNEN" von Günther Schwärzer übertragen.
Einige bisher erschienene Bücher im Rahmen der Heimatortsgemeinschaft Agnetheln:
- Summa 1900. Aus der Vergangenheit und Gegenwart des königlich freien Marktes Agnetheln. Beiträge von V.A.Eichel, M.Schuller, Fr.Rosler,G.D.Teutsch und D.Schmidt. Neuausgabe besorgt und eingeleitet von H.Fabritius. Heilbronn 2000.
- Rosler, Fr.: Agnetheln in den sechziger Jahren des 19, Jahrhunderts (Nachdruck) Heilbronn 1991
- Fabritius, H. (Hg.): Ausweg - der Weg ins Aus. Die letzten 50 Jahre in Agnetheln, Siebenbürgen. Zeugnisse seiner sächsischen Einwohner. Heilbronn 1991
- Fabritius, H.: Aug' in Auge mit den Schatten. 400 Bilder vom Bild Agnethelns in Siebenbürgen. Heilbronn 1996
Der Autor des Ortsfamilienbuches:
Hanswalter Müller, Bankkaufmann, Geboren 1931 in Agnetheln/Siebenbürgen, lebte seit 1973 in Deutschland († 31.05.2012)
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